V. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs und der deutschen Monarchien

Nur wenige Jahre konnte die Familie am Wolfsbrunn in der Weise leben und sich an ihrem Anwesen so erfreuen ,wie es sich der Bauherr und seine Frau vorgestellt hatten. Hierfür waren drei Zäsuren veranwortlich, deren zwei ganz Deutschland betrafen: Der Ausbruch des 1.Weltkrieges im August 1914 und die militärische Niederlage und Revolution 1918. Der p1ötzliche Tod Richard Küchs 1915 kam dann als familiärer Schicksalsschlag hinzu. Wir wollen aber doch versuchen, eine Vorstellung von dieser ersten, glücklichen Jugendzeit des Hauses zu geben. Es lebt längst niemand mehr, der sie noch persönlich erlebt hat.

Wer 1906 von Hanau nach dem Wolfsbrunn fahren wollte und noch keines der neuen und teuren Autos besaß (Küchs kauften es sich erst 1911), mußte mit der Eisenbahn fahren. Gleich nach Hanau kam man ins Königreich Bayern, was sich schon beim Umsteigen in Aschaffenburg zeigte: Das Bahnpersonal wechselte und das Bayerische hatte im Unterschied zum preußischen hellblaue Uniformen. Bayern hatte sich nämlich, wie einige andere süddeutsche Staaten bei der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs 1871 bestimmte "Reservatrechte" vorbehalten, die vor Allem das Heerwesen, die Post, die Eisenbahnen und das Finanzwesen betrafen. So tragen also auch die ersten Karten und Briefe vom Wolfsbrunn Marken mit dem bayerischen Wappen oder Portraits der Wittelsbacher Regenten.

Als Haus Wolfsbrunn gebaut wurde, regierte in Bayern der sehr populäre, alte "Prinzregent" Luitpold, der für seinen Neffen, den geisteskranken König Otto eingetreten war. Dieser war als formeller Konig seinem Bruder, dem im Starnberger See ertrunkenen "Märchenkonig" Ludwig II. gefolgt. So stark war damals in Bayern noch der dynastische Legitimitätsgedanke, so bescheiden auch der Charakter des Prinzregenten, daß er für sich selbst die bayerische Königskrone ablehnte. Wenn auch in Unterfranken die Wittelsbacher Dynastie nicht so tief verwuzelt war, wie etwa in Oberbayern, so hatten doch einige Könige durch längere Aufenthalte auch in den Räumen Aschaffenburg oder Miltenberg Popularitat gewonnen. Kaum jemand wünschte die Abschaffung der Monarchie. Dazu trugen demokratische Züge in Bayern bei. Ein Wittelsbacher Prinz hatte als Arzt praktiziert und im Offizierskorps und in der Verwaltung konnten Männer einfacher Herkunft höchste Stellungen erreichen. Der allgemeine Umgangston bei Behörden war freundlicher als gewöhnlich in Preußen.

Bei der Errichtung des neuen zweiten Wohnsitzes der Familie aus dem (Hessischen) gab es offenbar keine größeren Probleme. Hanau war in der Region nicht unbekannt. Auch daß man evangelisch war, störte die damals noch selbstverständlich und fest in der katholischen Tradition stehende Landbevölkerung wenig. Sogar die Fürsten Leiningen waren ja evangelisch, was längst akzeptiert war. In solchen Dingen kommt aber alles auf Taktgefühl und gegenseitiges Respektieren an. Es hat Ida Küch sehr gefreut, daß eine von ihr gestickte Decke in Watterbach sogar bei kirchlichen Prozessionen alljährlich Verwendung fand. Natürlich darf nicht übersehen werden, daß Bau und die Nutzung des neuen Hauses im engeren lokalen Umkreis auch Arbeit und Verdienst brachten. Wenn die Mittel, über welche die neuen Nachbarn verfügten, für die Gegend groß erschienen, so mußte man doch ihrer Herkunft aus Talent und Arbeit Respekt zollen.

Es sollte sich als segensreich erweisen, daß der auf dem Jagd-und Landsitz gepflegte Lebensstil vergleichsweise bescheiden blieb, wobei die Tradition der von Vernunft geprägten Beamtenelternhauser der Ehegatten ebenso weiterwirkte, wie das Vernunftklima der Firma Heraeus. Schon die Einrichtung des Hauses war auffallend schlicht: Einfache Wandtäfelungen oder grauer und roter Rupfen. Grün gestrichenes, schlichtes Buchen-und Tannenholzmobiliar, in der Gegend gefertigte Eisenbetten. Lediglich an den beiden großen Kaminen im Esszimmer und im Zimmer der Hausfrau richtete man es sich etwas anspruchsvoller ein. Das speziell nach alten Renaissance- Vorbildern von einem Kunsttischler hergestellte Mobiliar für das Esszimmer, behielt man zunächst und dann noch jahrelang in Hanau. Neben schlichter Volkskeramik gab es die üblichen Kupferstiche von Riedinger, darunter natürlich einen Wolf im Fangeisen, und zunehmend Jagdtrophaen. Für die Geweihe und Gehörne, ausgestopften Bussarde, Habichte, Falken, Eulen etc. wurde es in der kleinen Eingangshalle bald zu eng.

Da der vielbeschäftigte Bauherr das Haus nur für kürzere Sommerbesuche nutzten konnte, brauchte man dort kein ständiges Personal, auch keine Pferde oder Jagdhunde zu halten. Zur Betreuung der Jagd-und Fischereipachten fanden sich Fachkräfte aus den benachbarten zwei Dörfern. Von größeren Festen ist nichts überliefert. Das Haus sollte neben der Jagd nur der engeren und weiteren Familie, Freunden und sonstigen Besuchern Gastfreundschaft bieten. Nachbarschaftsverkehr gab es nur mit Venators. Kurz vor Kriegsausbruch hatten die beiden ältesten Töchter Küch geheiratet, was willkommene, neue Verwandtenbesuche brachte. Manchmal mußten der Hausherr und seine Frau freilich für Ordnung sorgen, sie verfügten über Autoritat und Humor. Wenn sich Schwiegersohne oder Corpsbrüder abends am Kamin bei einem guten Tropfen allzulange verlustieren wollten, löschte Richard Küch still und allmählich alle Lichter aus (bis gegen Ende des 2.Weltkriegs gab es nur Petroleumlampen und Kerzen) . Er selbst wollte früh in die Natur, auf die Pirsch, wobei dem vorzüglichen Schützen an persönlicher Jagdbeute aber nichts lag.

Bei Ausbruch des 1.Weltkriegs fühlten sich alle beteiligten Völker im Recht und angegriffen. Die Familie erlebte die Tage in Hanau, die Mutter voller Patriotismus. Richard Küch hatte in seiner Jugend zwar alle Voraussetzungen zum Reserveoffizier erfüllt, dann aber, bezeichnenderweise und damals ungewöhnlich, darauf verzichtet. So blieb der 54jahrige Naturwissenschaftler in seinem Beruf. Aber Vieles änderte sich: Das Auto wurde der Armee zur Verfügung gestellt, der Chauffeur eingezogen. Auf die Hanauer Firma kamen neue Aufgaben und viel Mehrarbeit zu. Arbeitskräfte wurden in Stadt und Land knapper. Der Sohn Fritz Küch, Hauptinteressent am Jagdbetrieb, ging sofort als Kriegsfreiwilliger zu den Hanauer Ulanen. Die Eisenbahnen waren überlastet, die Goldmünzen wurden eingezogen, persönliche Goldgegenstände gespendet. Die gern karitativ tätige Familienchefin fand weitere Wirkungsgebiete. In großem Umfang wurden Kriegsanleihen gezeichnet.

Dr. Richard Küch war bei Kriegsausbruch schon länger von Diabetis und leichten Herzbeschwerden betroffen, die sich durch die zugenommenen Arbeitsbelastungen und Anspannungen im ersten Kriegsjahr verschlimmerten. Der korpulenter gewordene Mann, dem man zudem das geliebte Rauchen schwerer Zigarren nicht untersagt hatte, fuhr im Sommer 1915 zur Kur nach Bad Nauheim. Nach der Rückkehr erlitt er in Hanau einen schweren Herzanfall und verschied 1915 an qualvoller Angina Pectoris.

Den unerwartet frühe Tod ihres Mannes, der seit 25 Jahren Mittelpunkt ihrer Existenz gewesen war, und die damit verbundene radikal veränderte materielle Situation hat Ida Küch mit großem Gottvertrauen gemeistert. Sie, deren Haare früh weiß wurden und die als Witwe nur noch schwarz trug, lebte seitdem für ihre Kinder im Sinne ihres Mannes. So hielt sie auch an dem Landsitz im Odenwald fest. Man darf sogar sagen, daß das Anwesen in mancher Beziehung wichtiger wurde. Ihren vier Kindern war es ebenso zur Heimat geworden, wie die kleine Hanauer Stadtvilla und sie konnten dort bequemer zusammenkommen. Frei von den Berufszwängen ihres Mannes konnte die Witwe nun ihre Aufenthalte im Odenwald ausdehnen und länger dort leben. Die kriegsbedingten Ernährungsprobleme waren auf dem Lande und mit größerem Garten leichter zu lösen und die Jagd und Fischereirechte waren wichtig geworden.

Nachdem im Oktober 1918 die Niederlage der Mittelmächte offenkundig geworden war, brach Anfang November die Revolution aus: am 7.November in der Bayerischen Hauptstadt, am 9. Nov. in Berlin. Innerhalb von drei Tagen räumten alle deutschen Dynastien ihre Throne. Angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit und da Haus Wolfsbrunn damals schlecht zu heizen war, dürfte die Familie Küch damals in Hanau gewesen sein. Es gab dort radikale Elemente,vor denen die Stadtvilla möglicherweise zu schützen war, der einzige Sohn lag schwer verwundet in Lazaretten. Freilich war auch Bayern nicht mehr sicher. Wenn der Landkreis im hinteren Odenwald zunächst noch relativ unberührt von den politischen Wirren schien, so wird es nur fünf Monate später in München bolschewistischen Terror und eine Räteregierung nach russischem Muster geben, der wiederum konterrevolutionärer Terror ein Ende setzte. Nach über einem halben Jahrhundert Bundesrepublik Deutschland kann man sich die damaligen Wirrnisse in Deutschland schwer vorstellen. In solchen Zeiten zeigt sich die praktische und psychologische Bedeutung eigener Häuser besonders deutlich.

Nach dem Tode ihres Mannes alterte die Witwe Ida Küch vorzeitig, deutlich nach ihrem 60.Geburtstag 1918. Ihre Diabetis verschlimmerte sich, wodurch sie später auch ein Auge verlor. Auch die Wirren am Anfang der neuen Republik setzten der sehr konservativen Frau zu. Zudem hatte sie in der Inflation, wie breite Schichten des Bürgertums, den größten Teil ihres Vermögens eingebüßt, das in Anleihen, insbesondere in Kriegsanleihen angelegt war. Auch machte sie sich große Sorgen um die Gesundheit ihres einzigen Sohnes, der als Fliegeroffizier durch mehrere Abschüsse sehr schwer verwundet worden war, und jahrelang in Lazaretten lag.