IV. Das Anwesen

Das Anwesen verteilt sich auf die Gemarkungen Watterbach und Kirchzell, da sich der Kirchzeller Grund am Waldbach weiter nach Watterbach hin ausdehnt als am gegenüberliegenden Waldrand, wo das Haus erbaut wurde.

Im Grundbuch ist infolgedessen unter Watterbach eingetragen: Hs Nr. 52, Wolfsbrunn, Landhaus, Nebengebäude, Hofraum, Einfahrt, Wald (Holzung) und unter Kirchzell finden wir drei Parzellen Grünland am Waldbach entlang. Sie sind als Schwanenwiesen bezeichnet und ein Grundstuck trägt eine Garage. Wenden wir uns zunächst der höher gelegenen Watterbacher Gemarkung zu, wo das Haus mit seinen Nebengebäuden steht, im Sommer durch das Laub der Bäume ziemlich verborgen.

Wie wohl schon gesagt, liegt Haus Wolfsbrunn am Waldrand, am Hang oberhalb der alten Verbindungsstraße, die von Kirchzell im Waldbachtal nach Watterbach führt. Es ist aus an Ort und Stelle gehauenem, rotem Sandstein erbaut, dessen weißer Kalkanstrich seit Hundert Jahren der Erneuerung benötigt. Es ruht auf einem ebensolchem Sandsteinsockel, der hinter dem Haus weiter zur Höhe ansteigt. Das langgestreckte Gebäude umfaßt weniger Raum als man von außen vermutet, doch ist es heute in vier Wohnungseinheiten aufgeteilt. Früher war das Parterre den Wohnräumen vorbehalten: dem großen Esszimer mit Kaminecke und anschließender Verandah, dem "blauen Zimmer" meiner Großmutter. Ebenfalls lagen dort die Küchenraume und dort liegt immer noch ein Felsenkeller für Wild und Getränke. Im ersten Stock findet man die zu Wohnzwecken schnell beliebt werdende "Bibliothek" und die Schlafzimmer. Darüber war früher nur der weiträumige Dachboden und das sog. Turmzimer mit dem schönsten Blick, das sich Richard und Ida Küch bald zum Schlafzimmer erkoren.

Mein ältester Sohn hat daraus nach und nach eine richtige Dachwohnung gemacht, dabei noch höher in den Turm aufsteigend bis zu einem kleinen "Storchennest." Es ist ja das Schicksal solcher größeren Landsitze, daß ihr Innenleben sich immer neuen Bedürfnissen anpassen muß, sollen sie erhalten bleiben.

Was im Grundbuch mit "Nebengebäude" bezeichnet wird liegt unten an der Zufahrt zur Wolfsklinge, die immer unwirtlicher wird. Zunächst steht da ein aus Sandstein gebautes Brunnenhäuschen, was man in der Gegend auch "Brunnenstube" nennt. Es umfaßt den oberen Teil der Wolfsbrunnquelle, die unter dem alten Weg seit Menschengedenken kräftig hervorsprudelt. Da der obere Teil sich aber tiefere Wege gebahnt hat, fließt aus unserem Quellenrohr aber nicht mehr genügend Wasser. Seine vom Gesundheitsamt oft monierte Qualität erzwang schließlich die Bohrung einer neuen Quelle bis zu fast 70 Meter Tiefe an anderer Stelle, deren Wasser vorzüglich, aber von härterer Qualität ist. Die große alte Handpumpe mit riesigem Schwengel, auf halber Höhe, hatte schon vorher einer elektrischen Platz gemacht. Das andere Gebäude ist unsere alte, große "Holzhalle", deren Dach immer schnell bemoost. An einer Seite hat sie noch die traditionellen Holzschindeln des Odenwalds.

Wenn man der Wolfsklinge ein Stück folgt, so führt nach kurzer Zeit ein steiler Weg rechts zur Höhe hinauf, wo Felder beginnen. Er bildet die Grenze unseres kleinen Wäldchens, wo seit Hundert Jahren Alles so wächst, wie es will, vor allem Buchen, Eichen, Tannen und Kiefern. So klein das Wäldchen auch ist, erfaßt uns doch die Bürokratie als Waldbesitzer. Jede Romantik hat eben ihren Preis.

Gehen wir vom alten Weg über die Meixnerwiese zum Bach hinunter, so führt eine Brücke dorthin, wo unsere Kirchzeller Schwanenwiesen liegen. Die hochadeligen wilden Gänsevögel haben im sumpfigen Tal des Waldbachs vermutlich früher auf ihren Zügen Station gemacht. Von uns hat sie niemand mehr gesehen. Dafür aber viele Enten, Reiher und gelegentlich einen Eisvogel. Einige Vögel nisten gern im Ufergebüsch und Schilf, fischen sich Forellen und gründeln nach kleinem Getier und Pflanzenstoffen.

In meiner Kindheit gab es im Bach noch Krebse und im Haus dafür Krebsbestecke. Solange man die Fischereirechte hatte, wurden Forellen auf Vorrat in Reussen gehalten, worin die Ahnungslosen glücklich schienen. Doch wichtiger war uns Kindern natürlich der Bach zum Schwimmen, was besonders gut ging, wenn das urige Wehr gestaut war, dessen Sandsteine mit grünem Moospolster gute Ruhelager abgaben, mit Wassermassagen nach Wunsch. Wenn er nicht gestaut wird, ist der Bach mit 16-17 Grad freilich recht kalt. Dafür scheint hier unten die Sonne zwei Stunden länger als auf der Terrasse oben am Haus.
Wir nannten auch noch eine Garage.

Sie wurde nach dem Haus kurz vor dem ersten Weltkrieg errichtet, nachdem die Chaussee gebaut worden war. Sie ähnelt von Ferne etwas Goethes Weimarer Gartenhaus, ist aber ein großes, innen leeres Holzhaus. Das Auto, welchem sie dienen sollte, wurde im 1.Weltkrieg der Armee spendiert oder diese hatte es samt dem Chauffeur eingezogen. Einige Jahrzehnte standen dann darin nur: Räder, Schlitten, ein Ping-Pongtisch mit Schlägern, man fand Federballe, Krocket-Hammer, Paddelboote, Sonnenschirme, Gartengeräte etc .. Von der Decke hing eine Schaukel. Am Garagentor fand ich mal ein prachtvolles, weißes Hermelin. Wahrend ich tatsachlich mal einen Fuchs abgezogen habe, beerdigte ich das Tier in seiner Schönheit.

So bot und bietet das kleine Anwesen zwei verschiedene Lebenswelten.Theoretisch konnte man fast sagen: Oben am Haus und Waldrand war eine Welt der Älteren, der abgeschirmten Ruhe, der geistigen Arbeit und Lektüre. Unten im Garten am Bach eine Welt der Jugend in Sonne und Wasser, mit munterem, auch lärmendem Toben, mit Hunden und Sportgeraten. Doch eine solche Separierung gelang natürlich nur stundenweise. Denn das felsige Wäldchen lockte zum Hütten- und Höhlenbau und auch Erwachsene badeten gerne im Bach.